Organisationsentwicklung: viel Angst um nichts

Organisationsentwicklung: schnell sein und Zeit haben schliessen sich nicht aus.
Schnell sein und Zeit haben schliessen sich nicht aus.

Ich weiss ja nicht, wie das bei Ihnen ist, aber meine Erfahrung in der Organisationentwicklung ist: Führungsarbeit, strategisches Vorausschauen und in besonderem Masse Reflexion und Lernen werden extrem vernachlässigt – letzteres findet allzu oft so gut wie nicht statt.

 

Was in hohem Mass schockierend ist, finde ich. Denn wenn man das zusammenzählt, ergibt das doch Organisationen, die in irgendeine Richtung laufen, nicht wissen, was sie wollen, und ausserdem nichts lernen. Das klingt insgesamt nicht nach einer hohen Lebenserwartung, oder? Wenn man sich vorstellt, welchen Impact jede dieser drei Kernaufgaben von Unternehmensführung hat, dann darf das doch gar nicht wahr sein, dass ausgerechnet die über weite Strecken flachfallen.

 

Wenn ich frage, wie es zu diesem Zustand kommt, gibt es eine mit grossem Abstand häufigste Antwort: „Keine Zeit.“ So einfach. Der operative Alltag frisst, was er kriegen kann, und er kriegt alles. Wie das Krümelmonster. Was zur Folge hat, dass man die obige Aufzählung nochmals dramatisch erweitern muss: das ergibt dann nämlich Organisationen, die in irgendeine Richtung laufen, nicht wissen, was sie wollen, nichts lernen, und ausserdem ständig am Anschlag laufen. Das macht es jetzt auch nicht besser...

 

Eigentlich ja klar, dass diese Vernachlässigung entscheidender Aufgaben keine Option sein darf, oder? Ebenso logisch: wenn die Zeit kriegen sollen, müssen andere Dinge – nämlich operative, denn andere sind ja oft gar nicht da – Zeit abgeben. Und, auch wieder logisch: das heisst, man muss gewisse operative Dinge weglassen oder später tun oder sparsamer tun.

 

Und in diesem Moment setzt zuverlässig eine Panikattacke ein, die in etwas so vertont wird: „Kommt überhaupt nicht in Frage, wir können nichts weglassen, es laufen aktuell dreissig Projekte gleichzeitig, und die sind alle extrem wichtig, auf die können wir nicht verzichten...“ usw.

 

Meine kühne Behauptung: das ist eine Illusion. Sie denken nur, dass diese dreissig Dinge alle laufen. Aber weil alle am Anschlag sind, ist es längst so, dass höchstens zwanzig dieser Projekte tatsächlich laufen. Die anderen sind auf der Intensivstation, im quälenden Schneckengang oder laufen auf einem derart deplorablen Niveau, dass sie für die Reputation Ihres Unternehmens ein echtes Risiko darstellen. Das will niemand.

 

Nächste Behauptung: würden Sie die Schnecken alle weglassen, würde sich im ersten Moment mal gar nichts verändern; weil Sie nämlich etwas weglassen, das eh nicht läuft. Im zweiten Moment würde die Qualität dessen, was die Firma tut, merklich steigen, zusammen mit der Gesundheit und der Motivation der Belegschaft. Nicht zu reden davon, dass Sie die Zeit, die vorher aufgewendet wurde, um die Intensivstation zu betreuen (denn das braucht ja auch Zeit), mit sinnvolleren Dingen nutzen könnten: Führungsarbeit, strategische Arbeit, Reflexion und Lernen.

 

Nun können Sie einwenden, dass wir ja dann wieder beim gleichen Zeitaufwand sind wie vorher. Das kann schon sein, allerdings hat das jetzt drei Vorteile: erstens geraten Sie nicht in Gefahr, eine ruhige Kugel schieben zu wollen, was Sie dann Ihren Stakeholdern erklären müssten. Zweitens tun Sie jetzt Dinge, die nützlich und motivierend sind, anstatt solche, die Frust generieren. Und drittens sind Sie jetzt in einem Modus, in dem Ihre Organisation die Chance hat, dauerhaft leistungs- und lernfähig zu bleiben.

 

Was brauchts? Den Mut, den wichtigen Dingen rigoros Zeit zu verschaffen und diese Zeit auch gegenüber dem operativen Druck zu verteidigen. Sagen sie nein zum Krümelmonster.

 

Dabei besteht die reale Möglichkeit, dass Sie, wenn Sie diesen Mut mal aufgebracht haben, im Nachhinein feststellen, dass Sie den gar nicht gebraucht hätten.

 

Macht aber nichts: sich in Mut zu üben, ist auch so nützlich. Nur zu.

 

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