Vorweg: es gibt natürlich schon ein, zwei Dinge, die man vom Spitzensport lernen kann, beispielsweise, die Verantwortung für die eigene Leistung und deren Resultate zu übernehmen, oder noch besser: Erholungsmanagement. Und unter uns: wenn alle Führungskräfte diese zwei Dinge lernen würden, dann würde ich ja gar nichts sagen, und dieser Artikel wäre überflüssig. Vorerst aber sehe ich durchaus eine Berechtigung dafür, doch weiterzulesen. Also dann:
Es gibt sie ja immer noch gerne als Teil der Management-Folklore: Veranstaltungen, in denen sich Führungskräfte Referate von berühmten Spitzensportlern oder Spitzensportlerinnen anhören, um sich daraus eine Inspirationsscheibe für ihren Job abzuschneiden. Meist wahlweise aus den Kategorien „Topleistung erbringen unter Druck“, „wenn du nur willst, geht auch das Unmögliche“ oder „Spitzensport als Lebensschule“.
Also erst mal ist Spitzensport ein durchaus brutales Selektionssystem und damit genauso unromantisch wie die Evolution, die auch nichts „weise designt“, sondern ganz einfach aussiebt, was nicht taugt. So ein Selektionssystem kann gewisse Qualitäten, die in einem stecken, erblühen lassen, aber wenn da vorher nichts davon da ist, ist man in der Zeit, die man benötigen würde, um sie zu entwickeln, bereits aussortiert. Entweder du bringst mit, was es braucht, oder du bleibst zu Hause.
Nicht davon zu reden, dass gewisse andere Qualitäten, die auch in einem stecken, komplett verkümmern können, zu einem hohen Preis. Davon können viele Spitzensportler:innen ein Lied singen und tun das auch zunehmend öffentlich – Lara Gut-Behrami, Selina Gasparin, Mikhaela Shiffrin, André Agassi, Naomi Osaka, Simone Biles haben es alle schon getan.
Weiter geht’s mit dem Setting: Spitzensportler sind Kontrollfreaks. Alles ist darauf ausgerichtet, nichts dem Zufall zu überlassen, Tagesabläufe sind zu hundert Prozent vorhersehbar und geplant, Bewegungsabläufe werden tausendfach geübt, um sie dann identisch zu einem lange vorher bekannten Zeitpunkt und unter vollkommen definierten Rahmenbedingungen abrufen zu können. Wie nahe ist das am VUCA-Agilitäts-Refrain, der den aktuellen Management-Kanon dominiert? Nicht nahe. Überhaupt nicht.
Und schliesslich bedienen diese „Sportler-inspirieren-Manager“ Events völlig hemmungslos den Superheldenmythos. Der mag in dieser Nische seine Daseinsberechtigung haben, ich war auch gerne glühender Federer-Fan und habe bewundernd auf diese Lichtgestalt geblickt, aber in der Organisationswelt ist dieser Mythos ein erhebliches Geschäftsrisiko mit vielen schlechten Konsequenzen: Selbstüberschätzung, blinde Flecken, verkürzte Denkwege, brach liegende Potentiale usw. Ich rate ab.
Wenn schon, laden Sie doch mal einen begeisterten ambitionierten Breitensportler ein. Ich wette, da würden Sie mehr Dinge hören, die Sie gewinnbringend auf Ihren Job beziehen können.
Das mit den Spitzensportlern ist übrigens das gleiche Problem wie mit Nobelpeisträger:innen, die auch gern zu allen Welt- und Lebensfragen interviewt werden. Aber mal ehrlich: wieso genau sollte jemand, der sich wie kein Zweiter mit subatomaren Teilchen auskennt, etwas Fundiertes zum Nahostkonflikt sagen können?
Als Vorschlag zur Güte: wenn Sie Inspiration suchen, ist es natürlich ok und durchaus sogar immer wieder nötig, sie ausserhalb Ihrer Organisation zu suchen, damit Sie nicht dauernd im eigenen Saft schmoren. Aber suchen Sie doch auch mal intern. Da finden Sie einen Haufen Leute mit Qualitäten, die Sie nie vermutet hätten und mit Ideen, die im schlimmsten Fall nicht zur Geltung kommen, während Sie Michael Jordan zuhören, die Ihre Firma aber erheblich weiter bringen würden.
Also: gut auswählen, wo Sie sich ohne jeden Business-Bezug einfach mal unterhalten lassen (klar dürfen Sie das), und wo Sie echt was mitnehmen.
Alles Gute bei der Schatzsuche!
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