Klingt doch wie der Beginn einer Kindergeschichte: „Es war einmal ein trauriger Leuchtturm, der in wunderbaren Farben strahlen konnte, aber niemand beachtete ihn, und so wurde er immer trauriger...“
Mal ehrlich: wie oft lesen Sie ihre Dokumente betreffend Vision, Strategie, Leitbild oder Werte? Eben. Und das ist ein Problem: diese Dimensionen sind doch dazu da, Ihrer Organisation einen Sinn und eine Richtung zu geben – aber wenn keiner hinschaut? Kann es sein, dass sich dann Sinn und Richtung irgendwann niemandem mehr erschliessen? Indizien dafür gibt es, wenn Sie mich fragen.
Nun könnten Sie (natürlich rein hypothetisch) als Führungskraft sagen „Hab ich doch alles schon lange kapiert und im Kopf, muss ich doch nicht jeden Tag lesen, um das meinen Mitarbeitenden zu vermitteln.“ Dann würde ich Sie dann an dieser Stelle auf eine Problemkaskade hinweisen:
- Psychologische Selbstüberschätzung. Wussten Sie, dass neunzig Prozent der Menschen sich als überdurchschnittlich gute Autofahrer einschätzen? Statistische Grundkenntnisse genügen, um diesen Befund einzuschätzen...wenn Sie also glauben, dass Sie die übergeordneten Leitlinien ihrer Organisation einfach so von alleine ständig präsent haben inmitten des operativen Tagesgeschäftes, dann wette ich dagegen.
- Was nicht im Bewusstsein ist, hört auf zu existieren; Kahneman hat das WYSIATI genannt („what you see is all there is“). Wenn Sie Ihre Leitstrukturen nicht im Bewusstsein haben, bewirkt das
also,
- dass diese Dinge aus Ihrem inneren Kompass verschwinden, und
- dass, weil Sie ja über nicht Existentes nicht sprechen können, Ihre Leitstrukturen den inneren Kompass Ihrer Mitarbeitenden gar nie erst erreichen.
Selbst wenn Sie einfach ganz normal eine Firma führen möchten, gibt es dringenden Bedarf, sich Ihre Leitstrukturen präsent zu halten. Es hilft Ihnen bei der Orientierung und wird Sie auch gegenüber der Belegschaft klarer erscheinen lassen – weil Sie nämlich dann klarer sind.
Das Potential von Leitstrukturen geht aber weit über einzelne Führungskräfte hinaus. Wenn Sie in Richtung Eigenverantwortung, Selbstorganisation, Empowerment, Agilität usw gehen wollen, brauchen Sie einen Leuchtturm, der skalierbar ist. Denn wenn es nicht mehr der Chef ist und auch nicht die Chefin, die sagt wo’s lang geht, dann müssen das alle irgendwie selber wissen, und die Leitdimensionen von Vision, Strategie, Werten usw (zu dem „usw“ gibt’s dann im Januar was zu lesen) sind ideal als Quelle dieser Information geeignet, dann dafür wurden sie gemacht.
Also: dafür sorgen, dass absolut Jeder und Jede diese Leitstrukturen kennt, versteht und eine innere Verbindung zu ihnen herstellen kann – als Leuchtturm für das tägliche Handeln. Die „Zwischenhändlerin“ Führungskraft kann sich dann anderen Aufgaben zuwenden. Klar soll sie diese Werte immer noch mittragen und ihr Hüter sein, aber eben nicht mehr alleine.
Warum betet man in Religionen regelmässig? Warum gibt es Mantras? Warum funktioniert Propaganda so gut? Was bringt Sportler an die Spitze? Fokus, Üben, wiederholen, wiederholen, ständiges präsent halten. Das gilt für Vision und Werte genauso. Also warum nicht sich mal an dieser Mentalität versuchen? Leitstrukturen ständig im Alltag als Referenz nutzen; bei jeder Entscheidung einen kurzen Check machen: entspricht sie dem, was Sie sich auf die Fahne geschrieben haben? Spiegelt sie die Werte, die Sie nach innen und aussen vertreten? Alignment. An sich nichts Neues.
Halten Sie in Ihrer Organisation mal Ausschau nach traurigen Leuchttürmen, und schauen Sie, wie sie denen wieder etwas Lebensfreude einhauchen können. Nicht nur Kindergeschichten brauchen ein Happy End.
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