Wenn man dem aktuellen Tenor zuhört, macht es offenbar schon lange keinen Spass mehr, in einer grösseren Firma zu arbeiten: Trägheit, viel zu viel Politik, Machtspiele, Gier, schlechte Vorgesetzte, sinnentleerte Arbeit, chronische Überlastung, Machtlosigkeit, Falsch-, Über- oder Unterforderung – ich werde beim Schreiben schon müde.
Gut, ein kleines Bisschen kann man sich schon fragen, ob nicht besonders die Leute sehr laut in dieses Horn stossen, die ihr Geld damit verdienen, New Work Modelle zu verkaufen. Über das „new“ kann man da übrigens auch streiten. Aber selbst wenn man die Relationen normalisiert: die Misere hat schon was.
Kein Wunder, möchten grosse, etablierte Unternehmen, die sich Jahr für Jahr von der Gallup-Studie sagen lassen müssen, dass sechzig Prozent ihrer Mitarbeitenden nicht mit ihrem Unternehmen identifiziert sind und sich in die resignative Zufriedenheit zurückziehen, daran gern etwas ändern.
Da ist es naheliegend, sich nach geeigneten Frischzellenkuren umzusehen. Das geschieht teilweise über die Personalpolitik – schonend ausgedrückt –, in der Hoffnung, die Gleichung jung = flexibel sei korrekt. Ich habe schon frustrierte Aussagen von Hochqualifizierten gehört, dass die Altersdiskriminierung in gewissen Grossfirmen unterdessen bei dreissig beginnt. Kein Scherz. Die andere Möglichkeit ist, althergebrachte Strukturen durch Neue zu ersetzen. Und dort locken Angebote en masse in Form von Tools, Methoden und ganzen Organisationsmodellen, allen voran der Wunderwaffen-Hoffnungsträger Holocracy.
Aber das beginnt am falschen Ende, denn wenn Sie hingehen und die Strukturen radikal umkrempeln, werden Sie vor allem eines generieren: Überforderung. Unterdessen gibt es ja genügend hochkarätige Mahner in Bezug auf diese Überforderung, von Gerald Hüther bis Ricardo Semler, und ich gehe einig mit ihnen. Die natürliche Veränderungsrichtung ist von innen nach aussen, vom Beschluss zur Veränderung zur Umsetzung in die Realität.
Natürlich entwickeln Strukturen eine Eigendynamik, und es steht ausser Frage, dass es Wechselwirkungen gibt zwischen strukturellen Randbedingungen und dem Erleben und Verhalten von Menschen, die sich in diesen Strukturen bewegen. Aber Strukturen entscheiden nichts. Das tun Menschen. Und dafür müssen die erst mal die strukturelle Dynamik sehen und verstehen, dann etwas daran ändern wollen, die nötige Gestaltungsmacht dazu haben und zum Schluss auch bereit sein, die Investition dafür zu bezahlen in Form von Aufwand, temporärer Instabilität und Mini-Krisen, die dabei inbegriffen sind.
Klar geht’s auch andersrum, aber mal ehrlich, die nachhaltigen Beispiele stammen da eher aus der Kategorie Erdbeben, Kriegshandlungen und Querschnittlähmung. Mit strukturellen Bombenwürfen kann man Menschen zur Veränderung zwingen, aber „zwingen“ geht nicht so richtig mit „intrinsisch“ zusammen, oder? Von aussen kann der Impuls kommen, ja. Ob die Veränderung aber gelingt, entscheidet sich im Innen. Den Strukturen ist das vollkommen Wurscht.
Wenn Sie also mich fragen, ob Sie als Erstes Holocracy flächendeckend einführen sollen: Ich würde nicht. Wäre sicher sehr aufregend. Ganz sicher ein Eldorado für Berater. Aber schauen Sie doch zuerst nach innen. Wenn Sie wissen, dass Sie es wollen, testen Sie passende Prinzipien von Agilität, Empowerment und Selbstorganisation in kleinen Dosen.
Muten Sie sich als Führungskraft ein bisschen Kontrollverlust zu, wenn Sie Entscheidungsmacht aus der Hand geben zu Gunsten von Partizipation und Selbstorganisation. Vielleicht stellen Sie dann fest, dass Ihnen das nicht leichtfällt. Damit wären Sie nicht allein. Dann sind Sie bei der eigentlichen Arbeit angelangt, und das ist eine innere Arbeit.
Tun Sie die, dann haben Sie viel gewonnen, als Führungskraft und als Organisation. Dann wiederholen Sie diese Schritte, und Sie sind in einem Modus der nachhaltigen Entwicklung.
Inside Out.