Floppen mit Kunststückchen

Bei Organisationsentwicklung ist es wie im Garten: man kann nicht  am Gras ziehen. Aber man kann gute Bedingungen schaffen.
Am Gras ziehen bringt nichts...

Sie kommen in den verschiedensten Formen daher: Tools, Techniken, ausgefeilte Regelwerke wie etwa Holocracy, „fünfzig kraftvolle Coachingfragen“, gewaltfreie Kommunikation etc. – oft gepaart mit einem Markenschutz, der es erlaubt, für die Nutzung kräftig Lizenzgebühren zu kassieren.

 

Macht die Erfinder potenziell reich, aber Organisationen nicht unbedingt besser. Denn für Letzteres ist das Zentrum, also die Grundhaltung, um ein Vielfaches wichtiger als das, was man an der Peripherie veranstaltet. Tools, Techniken und Regeln greifen an der Peripherie an: Sie sagen, was ich wie zu tun, zu sagen, zu formulieren, zu organisieren habe etc.

 

Klar kann man aus einer systemischen Perspektive davon ausgehen, dass die innere Haltung und damit das Zentrum das Handeln an der beobachtbaren Peripherie prägt und umgekehrt. Wenn ich das Eine beeinflusse, muss systemisch gesehen das Andere auch beeinflusst werden. Ergo müsste, wenn ich mich zur Nutzung einer Technik zwinge, sich meine Haltung auch verändern. Geschichtlich ist überliefert, dass zum Beispiel Kriegsgefangene, die man dazu gezwungen hat, pro-kommunistische Texte zu schreiben, tatsächlich begonnen haben, sich für Kommunismus zu erwärmen.

 

Aber diese Methode dürfte im Businesskontext scheitern, denn bevor sich dann die Gesinnung der Mitarbeitenden bewegt hat, haben die wohl schon gekündigt...das mit den Kriegsgefangenen kommt nicht gut an, und nicht nur bei der Generation Y.

 

Die Sache mit der Wechselwirkung funktioniert durchaus, und Übungsstrukturen an der Peripherie können extrem hilfreich sein, aber nicht einfach so. Mit der Behauptung, dass die Rückkoppelung ganz automatisch passiert, macht man es sich zu einfach. Es braucht es die klare und bewusste Bereitschaft, sich von einer Technik innerlich berühren zu lassen. Sonst wird das Ganze zum beflissenen Nachturnen, zum Kunststückchen, das man allenfalls virtuos präsentiert, das aber absolut nichts bewirkt. Am ehesten noch ironische Bemerkungen à la „schau mal, er hat einen Kurs gemacht“...auch wenn das nicht alle gern hören: es gibt durchaus Menschen, die täglich meditieren und im Alltag sozial komplett inkompetent sind.

 

Auf der Ebene von Organisationen gilt das gleiche für „neue“ Arbeitsformen, die zum Zweck der Organisationsentwicklung eingesetzt werden: wenn man sich da nicht sorgfältig um die psychologischen Anforderungen und Auswirkungen kümmert, wird auch daraus eine Turnübung, an deren Abgang ein agiler Crash sondergleichen steht, weil alle verwirrt und überfordert sind.

 

Bedauerlicherweise wird bei der Gebrauchsanweisung von Tools und Techniken meist nur der turnerische Teil beschrieben. Es braucht aber immer auch noch die Ergänzung „Üben Sie die Technik und beobachten Sie sich dabei selbst. Achten Sie darauf, was sich in Ihnen drin tut, während Sie üben, und was sich dabei für Sie verändert.“

 

Technik hat durchaus das Potential, einen Entwicklungsweg überhaupt erst zugänglich machen – abkürzen kann sie ihn nicht, und sie tut auch nicht die Arbeit für Sie. Das bleibt etwas, das Sie selbst leisten müssen und seine Zeit braucht. Dann gelingt Persönlichkeitsentwicklung und Organisationsentwicklung.

 

Darin steckt eine sehr gute Nachricht für Menschen und Organisationen, die sich auf den Weg machen: wenn Sie früh dran sind, erarbeiten Sie sich einen Vorsprung, der kaum einzuholen ist. Bei Strecken, auf denen man nicht schneller sein kann als andere, gewinnen die, die zuerst starten. Also: Auf geht’s.

 

Kunststückchen sind das eine. Das wahre Spektakel geschieht leise, tief drinnen.

 

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