Man muss sich schon auf dem Laufenden halten, klar. Wer rastet, der rostet. Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen. Stillstand ist Rückschritt. Verstanden? Also hopp hopp.
Da kann man leicht auf den Trip geraten, ja nichts zu verpassen: „Machen jetzt alle, Achtung, müssen wir auch, sonst sind wir weg vom Fenster, ganz wichtig.“ Wer will schon den Stein der Weisen verpassen?
Zum Beispiel Design Thinking: es scheint ja sozial schon fast nicht mehr akzeptabel, da nicht mitzumachen. Alle hoffen auf Genialität ex Methode, und dann ist es erst noch cool und spassig. Ich glaube durchaus, dass das gut funktioniert, aber wo ist die Revolution? Die Kunden und ihre Bedürfnisse kennenlernen, besonders ihre damit verbundenen Emotionen? Das Kernproblem identifizieren? Co-kreativ nach Lösungen suchen? Prototypen basteln? Testen und verfeinern? Ja klar, aber ehrlich, wer bisher nicht auf diese Idee gekommen ist, dem hilft auch ein Methodenkoffer nichts. Daraus ein eigenes Label zu machen, ist sicher gut für die Anbieter, denn selbstverständlich kann man sich für Geld zertifizieren lassen als Design Thinking Coach, und schon denken auch alle Berater „machen jetzt alle, aufgepasst, muss ich auch...“.
„Search inside yourself“: Klar muss ausgerechnet Google mit so was kommen, und klar kann man sich zertifizieren lassen, und die Slogans sind hip und trendy: „optimiere dein Leben durch Achtsamkeit“, „Wochenend-Seminar, Vertiefung in der 28 Tage Challenge“. Liebe Leute, wir brauchen Google nicht, um Achtsamkeit zu entdecken, das hat jemand schon vor tausend Jahren erledigt.
„Working out Loud“: Gruppen, die sich regelmässig treffen, um sich gegenseitig in ihrer Entwicklung zu unterstützen? Ja da schau her. Bestehend aus einem akribisch durchgetakteten Zwölfpunkteprogramm in ebenso vielen Wochen, natürlich pro Woche nur eine (!) Stunde. Zitat aus Schritt 1: «Das Herzstück von Working Out Loud ist das Vertiefen von Beziehungen.» Na schau mal an. Session zwei liest sich wie ein verhaltenstherapeutisches Training «Sozialkompetenz für Einsteiger». Bei Schritt drei war ich müde. Vielleicht verpasse ich jetzt ja was, aber ehrlich gesagt will dieses Bedrohungsgefühl nicht richtig aufkommen.
Last but not least: Rolf Dobelli. Ihn brauchen wir wirklich nicht, für keines seiner Themen. Er treibt jetzt sein Geschäftsmodell auf die Spitze: nach dem ausgiebigen Recycling dessen, was andere erarbeitet haben, recycelt er sich jetzt noch selbst. Im Tagi-Interview darauf angesprochen, dass er ein Buch über Medien schreibt, ohne die sozialen Medien überhaupt zu erwähnen, meint er freimütig, seinen Essay, auf dem sein Buch basiere, habe er vor zehn Jahren geschrieben, da habe es die noch nicht gegeben, und er habe ganz einfach keine Lust gehabt, sich mit ihnen zu befassen...Selbstvertrauen ist nicht alles, finde ich.
Es ist immer wieder ähnlich: man nehme drei Tasten einer Klaviatur und verkaufe es als neues Instrument. Es geht aber nicht so sehr darum, auf ein paar Tasten herumzudrücken. Es geht darum, erst mal eine Idee davon haben, was man ausdrücken möchte, und dann eine Melodie zu spielen. Und das muss man üben. Musiker bauen auch nicht ständig ihr Instrument neu und geben ihm coole neue Namen. Vielmehr versuchen sie, sich immer besser zu erschliessen, was in ihnen selbst und im Instrument steckt, und wie in der Interaktion zwischen Ihnen, dem Instrument und anderen Musikern Kunst entstehen kann.
Natürlich soll man sich auf dem Laufenden halten. Aber bevor Sie unnötig viel Geld für den neusten Schrei ausgeben, schauen Sie sich die Grundzüge an, ziehen Sie den Hype ab, prüfen Sie, was daran wirklich neu ist, und fragen Sie sich erst mal, warum Sie das nicht selber und ohne Zertifikat hinkriegen sollten.
So what? Sie können sich getrost an die Essenzen halten, die erschöpfen sich noch lange nicht und kommen mit weniger Lametta aus.