Leadership Seminare sind ein beliebtes Produkt, und immer liest man „dieses Seminar richtet sich an Führungskräfte“, ergänzt mit „obere“, „untere“, „neue“, „erfahrene“ usw. Anbieter und Endkunden haben sich aneinander gewöhnt und bilden ein Fliessgleichgewicht im Bildungs-Ökosystem.
Leadership wird automatisch verknüpft mit Führungsseminaren und Führung mit Weisungsbefugnis (doch, auch heute noch). Das deckt aber maximal zwanzig Prozent dessen ab, was Leadership ausmacht.
Es ist zunehmend nicht mehr so, dass einige wenige führen, und viele andere haben zu folgen. Dieses Modell ist zu schwerfällig für die heutigen Anforderungen auf dem Markt, und es ist eine Verschwendung von Potential. Heute sind Führungskräfte darauf angewiesen, dass sich ihre Mitarbeitenden in weiten Teilen selbst und gegenseitig führen, und zur wertvollsten Fähigkeit von Leadern auf höchstem Niveau wird mehr und mehr das Zuhören. Darüber habe ich an anderer Stelle schon geschrieben.
Die Zauberwörter heute heissen Agilität und selbststeuernde Teams, was übrigens überhaupt keine neuen Konzept sind, sie erfahren nur eine zunehmende Verbreitung. Selbststeuerung von Teams bedeutet jedoch, dass auch der Leadership-Aspekt in solchen Teams von den Teammitgliedern übernommen werden muss, und wenn es keinen designierten Teamleader gibt, dann heisst es sogar, situativ die Führung übernehmen und Initiative ergreifen, und ebenso situativ folgen und in die zweite Reihe treten.
Wir reden von nichts weniger als Rollenflexibilität, notabene das Nirwana der klassischen Gruppendynamik und gemäss ebendieser erst auf einer hohen Reifestufe eines Teams zu erreichen. Da Teams aber kaum noch in fester Zusammensetzung die Lebensdauer erreichen, um zu dieser Stufe zu gelangen, ist eine massive Erweiterung der individuellen Teamfähigkeit nötig, mit diesen Aufgaben: kenne dich selbst, deine bevorzugte Rolle in Teams und lerne, respektvolle Verantwortung für die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft zu übernehmen und dabei die Facetten deiner Person situativ und verantwortungsvoll als Ressource zu nutzen.
Das lernt man nicht in zwei Tagen. Und auch nicht alleine. Und auch nicht in einem Seminar.
Von den allermeisten Beteiligten fordert das, ihr situatives Verhaltensspektrum signifikant zu erweitern: die Zurückhaltenden müssen sich in die Leaderrolle getrauen, die Dominierenden zurückstehen können, die in der zweiten Reihe aushalten, sich zu exponieren, das Management die Angst überwinden, die damit verbunden ist, einen Teil der gewohnten Kontrolle abzugeben usw. Kurz gesagt: da sind massive Entwicklungsschritte zu machen, individuell und als Teil eines sozialen Systems.
Jede und jeder innerhalb eines Teams ist aufgerufen, Vorbild zu sein, die Richtung zu weisen, Konflikte zu lösen, zu begeistern, für Werte einzustehen – ja was ist denn das, wenn nicht Leadership?
Für die oberen Kader bleibt noch genug übrig: Orientierung, Sinn und psychologische Sicherheit vermitteln, Integrität und Verlässlichkeit vorleben, Systeme gestalten anstatt nur zu verwalten – die Latte liegt hoch.
Leadership ist schon lange kein Thema mehr für irgendwelche Eliten. Leadership ist schon längst Breitensport, und zwar ein anspruchsvoller. Wer eine Lähmung seiner Organisation durch Überforderung vermeiden will, investiert in diese Fähigkeit.
Am besten schon gestern.